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Werkstatt

Abenteuer ohne Inventar

Das Inventar ist unrealistisch. Das Wort Inventar gehört nicht einmal so richtig zum Inventar der deutschen Sprache. Aber kann man auf diesen Befehl verzichten?

Wer schon einmal den Hausschlüssel vergessen hat, weiß, dass der Textadventure-Befehl »Inventar« kein Pendant im wirklichen Leben hat. Vielmehr gilt es, jede Jacken- und Hosentasche einzeln zu durchsuchen und zu überprüfen, ob man Autoschlüssel, Hausschlüssel, Zigaretten, Feuerzeug, Palmpilot und Handy wirklich eingesteckt hat.

Was würde passieren, wenn ein Textadventure die Befehle I und INVENTAR nicht zuließe? Der Spieler müsste wie ein vergesslicher Handwerker alle Taschen durchsuchen, bevor er das elbische Schwert im Schulranzen fände oder den bronzenen Schlüssel in der linken hinteren Hosentasche. Ein Vorteil wäre also die bessere Simulation. Ein zweiter läge darin, dass der Autor Puzzles darauf aufbauen könnte: Eine Polizeikontrolle im Spiel findet das Marihuana nur dann nicht, wenn es in der Innentasche des Lodenmantels versteckt wurde, weil dieses Kleidungsstück aus so festem Stoff besteht, dass die Leibesvisitation nichts ergibt. Ein dritter Vorteil ist die Verblüffung des Spielers, der I wie Inventar eingibt und eine dumme Antwort bekommt. Was den Spieler überrascht, ist in einem Textadventure immer gut.

Die Abschaffung des Inventars brächte auch einige Nachteile. In einem langen Spiel könnte es zu folgendem störenden Dialog kommen:

> STECKE DIE TASCHENLAMPE IN DIE LINKE HOSENTASCHE
Meinst Du die hintere linke Hosentasche oder die vordere linke Hosentasche?

> VORDERE
In der vorderen linken Hosentasche ist kein Platz; dort sind schon der Kaugummi, dein Geldbeutel, das Rasiermesser und die Wollmütze.

Und so fort, bis der Spieler einen Platz für seinen neuen Gegenstand gefunden hat. (Dies zu programmieren wäre wohl auch kein Spaß für Autor.)

Eine zweite Möglichkeit, das Inventar abzuschaffen, bestünde darin, ein Abenteuer ohne tragbare Gegenstände zu schreiben. Immerhin ist das eine gute Idee, wenn der Autor sich zwingen möchte, sich auf den Plot des Spiels zu konzentrieren. Das Spiel müsste dann die Rätsel durch passende Handlungen und Verben allein lösbar machen - GIB DEM TROLL DAS GOLDSTÜCK käme ja nicht mehr in Frage. Stattdessen müsste der Spieler BESTECH DEN TROLL oder womöglich STELL DEM TROLL EIN BEIN eingeben. Und auf solche Befehle kommt kein Spieler leicht. Oder er nimmt zumindest an, dass das Textadventure eine solche Eingabe ohnehin nicht versteht.

Oder das Spiel müsste ganz auf Rätsel verzichten.

Alternativen zum Inventar bieten sich also nur in kurzen oder stark von der Handlung abhängigen Spielen an. Aber in diesen Fällen sind sie durchaus reizvoll: Sie können dem Textadventure-Autor helfen, sich auf seine Geschichte zu konzentrieren. Und das fehlende Inventar kann schon an sich ein hübsches, wenn auch nicht schwieriges Rätsel sein.

08.04.2001, Florian Edlbauer

 
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