[ t e x t f i r e . d e - Startseite ]

Sitemap
Druckversion


Werkstatt

Leitfaden für Betatester

Tipps und Anleitungen für Autoren gibt es inzwischen viele. Betatester hingegen sind weitgehend auf sich allein gestellt. Da ihre Arbeit für die Qualität jedes Spiels aber sehr wichtig ist, folgen nun einige Anregungen für all diejenigen, die sich an einem solchen Betatest versuchen wollen.


Hart bleiben

Egal, ob es das Spiel des besten Freundes, eines Bekannten oder eines gänzlich Unbekannten ist: hart bleiben! Es hilft weder dem Spiel noch dem Autor, wenn man über Fehler hinwegsieht. Kritik tut weh, ist aber zur Verbesserung des Spiels notwendig.

Parser-Unstimmigkeiten und Abstürze gehören zu den schwerwiegenden Fehlern, die unter allen Umständen gemeldet werden müssen - hier gibt es für Betatester keinen Spielraum. Auch auf der Behebung von Rechtschreib- und Grammatikfehlern sollte man immer bestehen, sofern sie nicht inhaltlich gerechtfertigt sind.

Unpassend klingende Ausdrücke oder Ungereimtheiten in der Handlung können den Spielspaß genauso mindern wie offensichtliche Parser- oder Formfehler. Hier ist ein wenig Fingerspitzengefühl gefragt: eine kurze Schilderung des eigenen subjektiven Textempfindens und ein Verbesserungsvorschlag sind hilfreicher als der simple Hinweis auf die betreffende Stelle. Verschweigen darf man solche Stellen aber nicht.

Allerdings müssen Betatester auch die Entscheidung eines Autors akzeptieren, Kritik zu ignorieren. Wenn er sie zur Kenntnis genommen hat, bleibt es ihm überlassen, wie er damit umgeht. Schließlich bleibt es sein Spiel.


Lesen, bis die Augen bluten

Selbst die zehnte Testversion eines Spiels kann alte und neue Fehler enthalten. Auch in schon zigmal gelesene Stellen können sich wieder Tippfehler einschleichen, durch Veränderungen im Programmcode fehlerhafte Antworten auftauchen und so weiter. Deswegen gilt: lesen, lesen, lesen. Betatester müssen auch die Stellen, die sie schon auswendig kennen, nicht nur überfliegen, sondern mit voller Aufmerksamkeit lesen und testen. Und das bei jeder neuen Betaversion!


Dumm sein

Betatester müssen sich - gerade, wenn sie langjährige Erfahrung mit Textadventures haben - so dumm wie möglich anstellen. Die Aktionen in den meisten Textabenteuern folgen etablierten Spielmustern, die weder der Wirklichkeit noch der Spielmuster anderer, beliebter Spielgenres ähneln. Genau das erkennen Neulinge aber nicht sofort.

Deswegen: niemals vermeintlich offensichtliche Aktionsfolgen wie selbstverständlich auf Probleme und Rätsel anwenden. Neue Spieler kennen diese Aktionsfolgen nicht, schlagen wahrscheinlich abweichende Wege ein oder verwenden andere Formulierungen. Es ist also wichtig, als Tester neue oder unwissende Spieler zu »simulieren«. Schwierig für Autoren einzuschätzen sind auch Aktionen, die nicht für das Vorantreiben der geplanten Handlung wichtig sind.

Wie ein Kleinkind sollte man alles, wirklich alles mit allen Objekten anstellen: ablecken, küssen, mitnehmen, essen, trinken, schlagen, öffnen, schließen, mitnehmen, ansprechen, drauf klettern - das gilt übrigens auch für Objekte, die gar nicht im Raum sein sollten. Türen stets öffnen und wieder schließen. Überall schlafen, hüpfen, schreien, riechen, horchen, sitzen und reden. Alle Aktionen mehrmals wiederholen. Je absurder, desto besser. Falls eine Aktion nicht durchführbar ist, sollte man wenigstens auf eine passende und korrekte Fehlermeldung achten, die Neulingen einen Wink in die richtige Richtung gibt.

Durch so entdeckte Ungereimtheiten werden manchmal schwerwiegende Fehler gefunden, deren Auslöser bei »normaler« Spielweise nur schwer dingfest zu machen wäre.

Wichtig und oft spaßig ist es, alle Objekte mit allen anderen Objekten auf jede nur erdenkliche Weise miteinander zu kombinieren. Hier ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten für Autoren, ihren Spielen Witz und Schlagfertigkeit zu verleihen.


Schlau sein

Wer weiß, wie Textabenteuer aufgebaut sind und funktionieren, weiß auch, wo die elementaren Schwachstellen unabhängig vom Spiel liegen. Mit diesem Wissen kann man Testberichte gezielter und kompakter verfassen.

Wenn Spiele mit Autorensystemen und deren Bibliotheken erstellt worden sind, ist es hilfreich, einen Fehler in der Bibliothek auch als solchen zu erkennen. Es wäre beispielsweise unübersichtlich, einen Tippfehler in einer Standardmeldung in jedem nur erdenklichen Zusammenhang zu bemängeln. Das erspart Autoren lästige Leserei und Sucherei.

Tester, die selbst schon Programmiererfahrung haben, können besser nachvollziehen, auf welche Schwierigkeiten man bei der Umsetzung seiner Ideen trifft. Das ermöglicht ein gezieltes Testen von besonders fehleranfälligen Aktionen.

Ebenso hilfreich ist das Wissen aus vorangegangenen Spiel-Sitzungen. Selbst, wenn man Wissen anwendet, das der eigene Spielercharakter zu diesem Zeitpunkt des Spiels noch gar nicht haben kann, sollten Autoren auch diesen Fall berücksichtigen.


Häufige Fehler

Worauf sollten Betatester besonders achten? Was sind häufige Fehlerquellen bei der Programmierung von Textabenteuern? Hier eine kleine Aufzählung aus eigener Erfahrung.

Fehlende Synonyme. Je mehr Synonyme für eine Handlung vorhanden sind, desto weniger Spieler werden Probleme mit der Formulierung der Aktionen haben. Deshalb immer auch ungewohnte Wörter benutzen.

Mehrdeutigkeiten. Einige Wörter können in verschiedenen Zusammenhängen völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Während »lege Mann um« synonym zu »töte Mann« ist, muss »lege Schalter um« anders behandelt werden. Eine Antwort wie »Den Schalter kannst du nicht töten« wäre hier sehr unpassend.

Behälter. Objekte, die andere Objekte beinhalten können, sind oft fehleranfällig. Im Behälter befindliche Gegenstände sollten sich auch so verhalten, also (je nach Behälter) nur eingeschränkt manipulierbar und betrachtbar sein. Objekte, die für den Behälter in Wirklichkeit zu groß wären, sollten auch im Spiel nicht hinein gelegt werden können. Ausgiebiges Testen gerade ungewöhnlicher Aktionen (»lege Elefanten in Tragetasche«) ist notwendig.

Wände und andere Raumbegrenzungen. Normalerweise werden Standardmeldungen ausgegeben, wenn Spieler Wände, Decken, Teppiche oder Böden betrachten und manipulieren. Werden in der Raumbeschreibung aber offensichtliche Besonderheiten wie eine Falltür, eine Deckenluke oder eine durchsichtige Wand erwähnt, müssen diese Besonderheiten auch in der Objektbeschreibung auftauchen. In einem Raum mit Falltür ist es unpassend, auf den Befehl »betrachte Boden« die Antwort »Du siehst nichts besonderes« auszugeben.

Personen und Nichtspielercharaktere. Großes Fehlerpotential steckt in belebten Charakteren, den so genannten NPCs (non player characters). Selbst einfache Anweisungen wie »nimm Frau« können heikel werden. Deswegen sollte man immer sowohl einfache Aktionen testen (treten, öffnen, geben, lecken usw.) als auch versuchen, die Person auf jede nur erdenkliche Art anzusprechen oder ihr unsinnige Befehle zu erteilen.

Vermeintlich unveränderliche Aktionsreihenfolge. Autoren nehmen oft an, ein bestimmtes Problem sei nur mit einer genau festgelegten Reihenfolge von Aktionen anzugehen. Verändert ein Spieler diese Reihenfolge, ergeben sich häufig unlogische Aussagen. Ein Beispiel:

Du stehst in einem leeren Raum.

> öffne Geheimtür
Mit einem lauten Knarren öffnet sich die geheime Tür.

> betrachte Wand
Als du die Wand intensiv betrachtest, fällt dir ein merkwürdiges Rechteck auf. Das muss eine Geheimtür sein!

Es ist unerheblich, woher der Spieler Kenntnis von der Geheimtür hat. Wenn der Spielercharakter noch keine Kenntnis davon hat, darf die entsprechende Aktion entweder nicht ausgeführt werden, oder der beschreibende Text der Wand wird geändert ausgegeben.

Zufällige oder zeitgesteuerte Begebenheiten. Zufällig auftauchende Bemerkungen wie »Du hörst leise Schritte« tragen erheblich zur Atmosphäre eines Spiels und zur Glaubwürdigkeit seiner Welt bei. Doch Vorsicht: auch hier schleichen sich leicht Fehler ein. Das oben erwähnte Beispiel macht die Atmosphäre zunichte, wenn es auch dann ausgegeben wird, wenn der Spielercharakter sich zum Beispiel schalldichte Kopfhörer aufgesetzt hat. Hier hilft es, als Tester ein paar Runden gar nichts zu tun, also zu warten.

Zeitlich genau abgestimmte Aktionen müssen auch dann glaubhaft bleiben, wenn die sie auslösende Aktion mehrmals vorgenommen wird. Eine Bombe, die nie detoniert, weil sie mit jedem Befehl »mach Bombe scharf« wieder von Anfang an zu zählen beginnt, ist nicht sehr realistisch.

Flüchtigkeitsfehler, die übrigens von Autoren und Testern oft übersehen werden, sind fehlende oder zu viele Leerzeilen und -zeichen.


Tester-Ethik

Es versteht sich von selbst, die eigenen Erfahrungen während des Betatests nicht lauthals hinauszuposaunen. Fehler in Betaversionen haben die Öffentlichkeit nicht zu interessieren. Ebenso sollte man auf objektive Rezensionen der Spiele verzichten, die man getestet hat. Zum guten Ton gehört auch, Anmerkungen oder Erfahrungsberichte zum getesteten Spiel erst nach Absprache mit dem jeweiligen Autor zu veröffentlichen.


Ein Wort zum Schluss

Was ist eigentlich der häufigste Fehler von Betatestern? Ganz klar: die Unterschätzung des Arbeitsaufwandes. Betatests erfordern sehr viel Zeit, Ruhe und eine gehörige Portion Geduld. Dessen sollte man sich im Klaren sein, wenn man einen Test zusagt.

Wer mehr über die Vorgehensweise beim Betatesten und die formale Struktur eines Testberichts wissen will, sollte unbedingt C. E. Formans Artikel »Oh No! Beta!« lesen, der in XYZZYnews 8 erschienen ist.

________
Links zum Thema:

 
[nach oben]